Junge mit Schokolade um den Mund

Perspektiv-Übernahme: Wo glaubt Maxi, dass die Schokolade sei?

Eine Studie, die zeigt dem einflussreichen Entwicklungspsychologen Jean Piaget etwas widerspricht: Mit schon etwa vier Jahre können Kinder verstehen, dass sie selbst zwar etwas wissen, aber ein anderes Kind ein anderes, vielleicht falsches Konzept von der Wirklichkeit hat.

Die Studie

Heinz Wimmer und Josef Perner (Salzburg, 1984) luden Kinder verschiedenen Alters ein und erzählten ihnen die Geschichte von Maxi. Maxis sieht, dass seine Mutter eine Tafel Schokolade in den blauen Schrank legt. Dann geht Maxi raus zum Spielen. Derweil backt die Mutter einen Kuchen, nimmt die Schokolade raus, und legt den Rest nicht zurück in den blauen Schrank, sondern in den grünen, auf der anderen Seite des Raumes. Danach kam Maxi vom Spielen zurück.

Dann fragten sie die Kinder, denen diese Geschichte erzählt wurde, wo Maxi nun wohl die Schokolade suchen würde.

Wenn ein Kind nun sagen würde: im blauen Schrank! So hieße das, dass es noch nicht fassen kann, dass jemand etwas Falsches glaubt.

Wen ein Kind nun sagen würde: im grünen Schrank! So hieße das, dass es ein Verständnis davon hat, dass jemand etwas Falsches glauben kann.

Das Ergebnis

Die meisten Kinder mit 3 Jahren konnten diesen “falschen Glauben” nicht begreifen. Die meisten Vierjährigen jedoch wussten, dass Maxi fälschlicherweise die Schokolade im blauen Schrank suchen würde. Dieses Ergebnis wurde in einer Vielzahl weiterer Studien bestätigt (z.B. Baron-Cohen et al., 1985; Newcombe & Huttenlocher (1992).

Was bedeutet das für uns als Erzieherinnen und Erzieher?

Dass Kinder im Alter von 4 Jahren damit beginnen, die Gedanken und Verhaltensweisen anderer Menschen analysieren um deren Verhalten vorauszusagen.

Dies stellt die kognitive Voraussetzung dar, gezielt einen “falschen Glauben” in den Köpfen anderer Menschen zu pflanzen.

Das Verstecken Spielen hatte bisher seinen Reiz darin, die Neugierde beim Suchen und die Spannung beim Verstecken zu erleben. Nun kommt aber eine ganz andere Dimension hinzu: Nämlich, dass das Kind immer präziser versteht, dass die Suchende wirklich keine Ahnung hat, wo es ist. Und welches Versteck wohl ein wirklich gutes ist.

Auch andere Spiele, wo getäuscht und verschleiert werden muss, wo man die Mitspieler einschätzen und ihr Verhalten voraussagen muss, können nun gespielt werden.

Nicht zuletzt ermöglicht dieser kognitive Entwicklungsschritt dem Kind, Täuschungen und Lügen der anderen Kinder und der Erzieherinnen und Erzieher zu erkennen. Da das Kind uns nun nicht mehr nur in unseren Handlungen beobachtet, sondern mehr und mehr unsere Gedanken zu entziffern vermag, wird es zunehmend wichtig, auch in Bezug auf Gedanken ein gutes Modell zu sein. Das heißt, für Erzieherinnen und Erzieher: eine reflektierte und authentische Persönlichkeit zu sein.

Quellen:

Heinz Wimmer, Silvia Gruber, Josef Perner. (1984) Young children’s conception of lying: Lexical realism—Moral subjectivism, Journal of Experimental Child Psychology, Volume 37, Issue 1, 1984, Pages 1-30.

Baron-Cohen, Simon; Leslie, Alan M.; Frith, Uta (October 1985). “Does the autistic child have a “theory of mind”?”. Cognition. 21 (1): 37–46. doi:10.1016/0010-0277(85)90022-8. PMID 2934210. Pdf. 19.05.2020

Newcombe, Nora S., Huttenlocher, Janellen. (1992) Children’s early ability to solve perspective-taking problems. Developmental Psychology, 28(4), 635–643. https://doi.org/10.1037/0012-1649.28.4.635.

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